Die Logik der Wege

Gutachten, 1969

aus Analytische Bausteine, Seite 150

stephansplatz

Drei städtebauliche Räume: Kirche – Markt- Verkehr

Die Entwicklung des U-Bahn-Knotens U1/U3 am Stephansplatz – Stock-im-Eisen-Platz bedarf einer kritischen Beurteilung in Bezug auf die historische Substanz im 1. Bezirk. Der 1. Bezirk hat den Erlebniswert eines Fußgängerbereiches. Der Verkehrsknoten Stephansplatz wurde fixiert, ohne Architekten beizuziehen, die doch sonst immer für die Umwelt und das Wohlbefinden der Menschen verantwortlich gemacht werden. Die Situierung wird eine Entwicklung mit sich bringen, die die Zerstörung der historischen Bausubstanz Graben – Stephansplatz zur Folge haben wird, da dieser Knoten eine Explosivität der Vitalität nach sich ziehen wird, die in Zukunft durch Gesetze kaum einzudämmen sein wird. Es wäre notwendig gewesen, den historischen Kern vor der Festlegung der Zentralstation drauf zu untersuchen, welche Orte geeignet sind, eine Integration dieser beiden Elemente „Verkehrsbauten“ und „Wohnraum Stadt“ zu gestatten.

Internationale Erfahrungen zeigen, daß durch Erhöhung der geschäftlichen Aktivität die historische Bausubstanz ausgehöhlt wird, was letztlich zur Zerstörung der historischen Innen- und Außenräume führt. Das Gutachten „Beiträge zur Wirtschafts- und Verkehrsstruktur der Wiener Innenstadt“ vom Wiener Institut für Standortforschung spricht sich gegen einen massiven Knoten am Stephansplatz aus und empfiehlt eine netzartige Auflösung der Stationen. Dieser Meinung ist beizupflichten.

Die Stadt Wien, der man die Gemütlichkeit nachsagt, sollte der Beschaulichkeit einen wesentlichen Platz einräumen. Der Weg von einem Verkehrsmittel zum andern muß so kurz wie möglich sein, das läßt sich am zweckmäßigsten bei vertikaler Verkehrsanordnung erreichen. Die Stationen sind nicht nur nach der Kürze der Wege angelegt, sondern der Erlebniswert in der Stadt muß berücksichtigt werden.

Es wäre ein Irrtum, den U-Bahn-Knoten Stephansplatz zu verdecken, da die U-Bahn kein isoliertes Element ist sondern mit der Stadtstruktur verflochten werden muß. Der 1. Bezirk wird Zug um Zug Fußgängerzone, es ist daher nicht angebracht, ein Passagengeschoß mit verstreuten Ausgängen zu bauen.

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Die Verflechtung von Stadtstruktur und Station

Die U-Bahn kann in unserem Projekt angehoben werden, die Verflechtung von Stadtstruktur und Station würde sich dadurch verdichten, die Funktionen in den Haltestellen werden überschaubarer, das Tageslicht kann durch Öffnungen ein Geschoß tiefer hinunterreichen. Die Station muß in ihrer Organisation eine einfache, klare und rasche Orientierung erlauben. Die Verkehrsströme werden zwingend geführt. die Wege von und zu den Stationen und die Umsteigewege müssen so kurz wie möglich so gestaltet sein, daß sie für die Benützer zu einem anregenden Erlebnis werden.

Der U-Bahn-Knoten wurde unter vorrangiger Berücksichtigung des Verkehrs am Stephansplatz festgelegt. Das Gutachten versucht entsprechend dieser Entscheidung, die gestalterischen Notwendigkeiten darzustellen. Der Einbau einer U-Bahn-Zentralstation (keine großen Auflasten mehr möglich) verhindert für alle Zeiten eine Gliederung der Plätze. Unser Vorschlag der Platzgliederung, provoziert durch die funktionale Skizze, wurde nur formal verstanden. Es war ein historischer Irrtum, im vorigen Jahrhundert die Vielfalt der alten Plätze Graben, Stock-im-EisenPlatz, Stephansplatz zu zerstören und einen einzigen, zusammenfließenden Großraum Graben – Stephansplatz zu schaffen. Der Verfasser strebt mit dem Verkehrsknoten eine Verbesserung der Gesamträume und vor allem eine Verflechtung FußgängerkonzentrationStadtstruktur an.

Die trichterförmige Öffnung darf kein Loch im Platz sein, durch das man im Keller verschwindet und wieder auftaucht, die Ränder werden so gestaltet, daß sie eine räumliche Differenzierung des Platzes ergeben. Die zentrale Lage, die Fußgängerkonzentration würde durch eine teilweise Überbauung des Knotens begünstigt, ja geradezu erzwungen. Ober-, Erd- und Untergeschoß werden ineinanderfließen, die Geschäftszone beim Haas-Haus wird in die T iefe führen, eng verflochten mit dem Stationsbetrieb. Die gesamte Innenstruktur muß mit Läden und anderen Attraktivitäten ausgestattet werden, damit sind nicht Zeitungsläden und Souvenirkioske gemeint.

  1. Der Stephansplatz als kirchlicher Bereich mit entsprechender Ausstattung des Platzes. Die Ruhezone Stephansplatz wird erst dann echt, wenn der Verkehr von der Nordseite des Domes verschwindet.
  2. Stock-im-Eisen-Platz als Zentralstation.
  3. Graben als Geschäfts- und Aufenthaltsbereich, großzügig gestaltet, Cafes und Gartenrestaurants beleben den Platzraum. Diese Strukturen können durch mobile Dächer, Grün (in der Art der Schanigärten) einen echten, belebten Außenraum ergeben. Die einseitige Durchflutung des Platzes durch den Verkehr sieht der Verfasser lediglich als eine Übergangslösung zu einer vollkommenen Fußgängerzone an.

Der Hintergrund dieser Plätze muß in die Gestaltung einbezogen werden. Die Fußgängerzone hat durch das Öffnen von Durchgängen, Durchhäusern und Höfen eine Erweiterung zu erfahren, damit das Fußgängerleben stärker in die Baustruktur dringt und nicht in Straßen und Plätzen kanalisiert wird.

Wir stehen nun vor der Aufgabe, die unbewältigte Quantität des Verkehrs durch neue Mittel zu einer Attraktion zu machen. Einer der wichtigsten Gesichtspunkte der Attraktivität der U-Bahnen ist, daß man sich nicht unter die Erde, in den Keller verbannt fühlen darf. Wir müssen die Verkehrsmittel der Stadt anpassen und nicht wie bisher die Stadt den Verkehrsmitteln. Eine Station ist der Brennpunkt des Fußgängerverkehrs und bietet die Möglichkeit, viele Arten von Aktivitäten entstehen zu lassen. Diese müssen die Station und den Weg von einem Verkehrsmittel zum anderen abwechslungsreich gestalten, der Weg könnte attraktiv sein und kein toter Raum, der zu überqueren ist.
1969, E.H.

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Die überzogene Funktionsskizze – Das Mißverständnis

Auf die Studie gab es keinerlei Reaktionen vom Amt. Als einzige Magistratsabteilung hatte das Kulturamt die Gliederung und die städtebaulichen Chancen erkannt. Jetzt kann die U-Bahn-Station keine größeren Auflasten übernehmen, daher ist die städtebauliche Gliederung der Plätze für alle Zeiten vertan. Der U-Bahn-Knoten Stephansplatz ist eine Tautologie des Verkehrsplans. Kreuzung der U-Bahn im Zentrum, dem sensibelsten Teil der Stadt. Die Forderung der Architekten nach einer netzartigen Verteilung der Stationen blieb ungehört.

Die Initiative des Bildhauersymposions St. Margarethen zur Platzgestaltung scheitert am Unverständnis der Behörden und am Egoismus der Mitglieder. Die ausgeführte Lösung entspricht der atheistischen Trostlosigkeit von 1970.