Autobiographisches
aus Analytische Bausteine Seite 7
Der Einstieg
Aus den gedanklichen Archiven meiner Jugend kommend, finde ich tagelang eine Selbstbeschäftigung mit Farbe, weniger mit Bleistift, mit großer Freude. Ein Leben formt sich scheinbar ohne Ziel. Ein schönes junges Leben nach Vorlieben unaufgeklärt Begabung geht schon zu weit, sie ist oft schon Einseitigkeit Der Zufall steuert vielleicht durch den technischen Beruf meines Bruders.
So erhält sehr früh der einfache Strich Bedeutung, die Zeichnung, das abstrakte Bild von Vorstellung fasziniert Die Kultur der freien Linie und der Farbe, vom Mittelschullehrer Ernst Degn (1904–1990) eingeführt, bindet mich für immer an dieses Medium. Als Schüler arbeite ich auf der Baustelle, eine billige Arbeitskraft und vollwertig eingesetzt. Wir Praktikanten waren stolz auf die weiße Maurerkluft. Eine Auszeichnung – die Führung des Bautagebuches, in Sütterlin (Kurrent) geschrieben. Der Einsatz auf der Baustelle ist nicht ohne Spannung. Wir nehmen Arbeitslosen den Arbeitsplatz.
Schüler, Praktikant. Stift im Architekturbüro
Als Schüler erlebe ich die Elite der Tiroler Architekten, als Personen und in ihren Bauten. Mit Welzenbacher, Stigler, Stanger, Mazagg, Baumann, Dagostin, Matuella usw. komme ich in nahen Kontakt. Selbst noch ohne Urteil, erfahre ich die Akzeptanz der Tiroler Alpinarchitektur und die aggressive Ablehnung der klassischen Moderne. Welzenbacher mußte nach München gehen.
Meine ökonomische Selbständigkeit erreiche ich später durch die Arbeit in Architekturbüros. Erlebe mitarbeitend die Wettbewerbe für das Gauhaus (heute neues Landhaus) bei Architekt Erich Millbacher und für das Haus des Deutschen Alpenvereins bei Architekt Viktor Stanger am Bismarckplatz.
Als Maturant kann während der Ausbildung in der Armee in bestimmten Fächern weiterstudiert werden: Technische Chemie und Medizin. Ich begehe nicht Fahnenflucht zu diesen Fächern. Von 70 Maturanten bleibe ich, mit sechs anderen, auf dem Appellplatz stehen. Das Credo meines Beamtenvaters: „Nacheinander und nicht durcheinander“, unterstützte mich. Ich ziehe in den Krieg, statt zu studieren.
Graz statt Wien
Nach dem Krieg, ohne Erwartungen und ohne ein Versprechen auf eine gesicherte Zukunft, genügte allein das nackte Leben.
1945 ziehe ich zum Architekturstudium an die Technische Hochschule nach Graz zu den prägenden Persönlichkeiten – den Lehrern. Graz, nicht Wien, da die geschätzten, aber unberechenbaren Russen von dort gehen und die disziplinierten Engländer kommen. Um zu immatrikulieren mußten drei Kubikmeter Holz für die Briten gefällt werden.
Schon ab dem Jahr 1946 arbeite ich als wissenschaftliche Hilfskraft für 75 Schilling im Monat am Lehrstuhl für Konstruktion. Die Saalgemeinschaften etablieren sich, die heute noch in dieser Tradition leben.
Die Stadt Graz und die Hochschule nehmen uns borstige Kriegsteilnehmer wie in eine Familie auf. Ich fühle mich dieser Stadt und ihren Menschen heute noch verbunden.
Meine Lehrer
aus Analytische Bausteine (Seite 8 und 9)
Wunibald Deininger
(1879–1965)
„Der Weise“
Ein schmaler Einfensterachsenraum, verstaubt und an einer Seite bis zur Decke angeräumt, mehr verwahrlostes Depot als Arbeitsraum. Am Fenster, wie ein Philosoph vergraben in die Lektüre, Professor Wunibald Deininger. Ein feiner Mann, für Raumkunst berufen, in seinem letzten Jahr.
Mein Entwurf von einem Innenraum hat nur Briefmarkengröße, aber einen starken Karton als Passepartout mit Schrägschnitt Deininger, eher Vater als Lehrer, stellt die Arbeit aus. Die Milde des Lehrers hat meine Zweifel an der Gültigkeit meiner ersten ausgestellten Arbeit nicht aufheben können und verbindet mich noch immer mit diesem feinen Menschen.
Lore Savageri-Herdey
„Die romanische Sonne“
Lore Savageri-Herdey ist die Assistentin von Friedrich Zotter. Nach sechs Jahren in einer Männergesellschaft war das romanische Element von Lore Savageri ein Erlebnis. Eine südliche Sonne hat uns als Autorität alle Wege geebnet – uns begleitet und zivilisiert.
Friedrich Zotter
(1894–1961)
„Der Magier“
Nach dem Ersten Weltkrieg ist Zotter Assistent bei K. Mayreder an der Lehrkanzel für architektonische Formenlehre und Städtebau und wechselt zu M. v. Ferstel an die Lehrkanzel für Altchristliche und Mittelalterliche Baukunst an der Technischen Hochschule Wien. Er promoviert 1922, und schon 1924 wird er im Alter von 30 Jahren Professor für Baukunst.
An der Tafel stehend, zelebriert Zotter choreographisch mit Zirkel, Dreieck und Kreide die Baugeschichte. Das Zeichnen ist für Zotter eine Disziplin, und im Stakkato werden Worte wie Bruchsteine zu Prägesätzen zusammengefügt und uns ins pflichtenheft eingeschrieben. Vom Marktplatz- über die Markthalle- zur frühchristlichen Basilika. Vom antiken zum höfischen Theater mit der Guckkastenbühne und bis zur Festspielscheune in Bayreuth.- Die Raumbühne als Utopie.
Als Magier verzaubert Zotter uns für diesen Beruf und entläßt uns ethisch berührt.
Hans Riehl
(1891–1965)
„Der Besessene“
Kulturell ausgehungert, besuche ich als Soldat in München die große Ausstellung der naturalistischen Staatskunst im neuen Haus von Architekt Trost, einem neoneo- klassizistischen Bau. ln der Nähe, in abgedunkelten Räumen angeprangert die „entartete Kunst“. Der starke Eindruck der Bilder von Max Ernst bleibt bis heute lebendig Mit Hans Riehl begegneten wir dann einem von Kultur Durchdrungenen, mehr noch einem von Kultur Besessenen.
Leidenschaftlich, heiter, sprachlich bewegt, interpretiert er die Kunst. Wir liefen Riehl zu, dankbar für das neue Unbekannte, die Moderne. Riehl lehrte uns das Staunen und holte uns direkt in seine kleine Galerie zu den Aquarellen von William Turner. Ein Schlüsselerlebnis.
Hans Riehls Lebensweg – mit Umwegen und zeitlich verworfen – führte ihn zur Professur für Gesellschaftslehre an der Universität Graz 1962. Von 1942 bis 1964 war er Lehrbeauftragter für Kunstgeschichte an der Technische Hochschule Graz. Trotz eines nicht einfachen Lebensweges eine faszinierende, kompakte Persönlichkeit ohne jeden beschädigten Hintergrund.
Bartel Granigg
(1883–1951)
„Das Magma“
Eine Persönlichkeit – der Fels der Gesteinskunde. Als Fachmann in der Weit der Geologie zu Hause, kann Granigg, ein seltener Fall, das Universelle in die Vorlesungen einbringen. Sein Spitzname „Magma“ sagt alles.
Bartel Granigg gelingt es, sein Fachwissen lebendig mit Bildungsfragen zu verknüpfen. Ein Horror für die Prüflinge. Seine Vorlesungen erhalten dadurch ein zentrales Gewicht in der Fakultät. Ein Vorbild. Für Bartel Granigg ist der akademische Ingenieur eine Einheit von Wissen und Bildung.
Das Studium – das Diplom
Das Studium an der Technischen Hochschule Graz 1945–1948.
Neo-Neo-Klassizismus, Blut und Boden, Österreichische Architektur ungefähr wie Holzmeister.
Kein Jugendstil, kein Bauhaus, kein Lois Welzenbacher, und ab 1947 wurde Le Corbusier von den Assistenten eingebracht.
ln dieser diffusen Situation ist der kleine Hoffmann, berufen für Renaissance und nachfolgende Stile, mein Diplomprüfer. Die Aufgabe – ein Brückenkopf.
Ich zeichne einen Le Corbusier. Einen Baukörper auf Stützen, mit fliegendem Dach parallel zum Fluß. Hoffmann: „Was machen Sie da?“ Der Umstieg auf einen historisierenden Brückenkopf führt zu einer architektonischen Katastrophe. Aber: bestanden! Bei der Diplomübergabe in einem improvisierten Raum, mehr Delinquent als Diplomand, eine Schelte durch den enttäuschten Zotter für uns alle. Die Mischung von überholter Lehrauffassung und unserer kopierten Moderne war verhängnisvoll. Trotzdem eine Lehre fürs Leben. Bei aller Unzulänglichkeit der Studienarbeit darf der Lehrer den Lernenden in seinen neuen Lebensabschnitt nur optimistisch entlassen.
Meine Berufung
aus Analytische Bausteine Seite 142
Technische Hochschule Wien
Mein Entdecker für die Hochschule ist Erich Boltenstern. Erich Boltenstern wohnt im Clima-Hotel in der Zeuggasse. Das Hotel ist aus Altbeständen aufgebaut und von mir eingerichtet. Die handgezeichneten Möbel mit der einfachen flexiblen Form findet Boltenstern praktisch und außerordentlich. Mir ebnet es den Weg zu einer Vorstellung meiner Arbeiten. Aber ohne Ergebnis: Die Professoren hatten anderes vor. Doch von diesem Augenblick an nimmt mich selbstlos Karl Schwanzer unter seine Fittiche. Karl Schwanzer ist rigoros. Entweder kommt Hiesmayr an erster Stelle oder überhaupt nicht in die Liste. […] Eine ganz komplexe und sensible Konstellation macht meine Berufung möglich.
Meine Frau
Chancengleichheit – ein Schlagwort unserer Zeit – gibt es für Mann und Frau wie für Stadt und Land nicht, denn eine Identität der Chancen ist nicht möglich. Man kann nur von Chancengleichgewicht für zwei verschiedenartige Wesen sprechen.
Ernst Hiesmayr in Analytische Bausteine Seite 140
Isolde Moosbrugger Hiesmayr
geboren im Bregenzerwald
stammt aus der Barockbaumeisterfamilie Moosbrugger
maturiert in Dornbirn in einer Bubenschule
studiert Medizin an der Universität Innsbruck
als erste Frau aus dem Bregenzerwald Dr. med.
heiratet Architekt Ernst Hiesmayr
1954 Sohn Michael geboren
aktive Mitarbeit im Atelier
Ambitionen zum Zeichnen, Aquarellieren und Illustrieren
Signet für die Stiftung Sedat Gürel, Istanbul
Publikationen
Schwarz auf Weiß
Arbeiten von 1985–1992
Erscheinungsjahr: 1992
Gebundene Ausgabe: 40 Seiten
Löcker Verlag, Wien
ISBN 3-85409-213-x
Isolde Moosbrugger Hiesmayr
Erscheinungsjahr: 2005
Eigenverlag